Defoes Piratenrepublik, eine notwendige Utopie
Europa an der Schwelle vom 17. zum 18. Jahrhundert war weder ein Ort der Freiheit noch der Gerechtigkeit. Es war die Zeit der sich herausbildenden Ordnung des Beutekapitalismus’. Die neue Epoche war geprägt von Kriegen, Unterdrückung und Ausbeutung, Revolten gegen die neue Herrschaft wurden in Blut ertränkt. Für viele bot sich nur noch das offene Meer als Ausweg und Fluchtpunkt an. Es war aber mehr als das: eine Projektionsfläche herrschaftsfreier, humanistischer Utopien. Als Sozialrebellen lehnten sich die Piraten gegen die herrschenden Zustände auf, in ihren Satzungen verankerten sie u. a. direkte Demokratie und Gemeineigentum.
Libertalia – die utopische Piratenrepublik erzählt die Geschichte einer freien Piratenkolonie auf Madagaskar. Die radikaldemokratischen Grundsätze, auf denen sie basierte, waren ihrer Zeit weit voraus. Die libertär-kommunitäre Gemeinschaft berief sich auf die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. Trotz ihres kurzzeitigen Bestands war Libertalia ein über die Zeit hinausweisendes gesellschaftliches Experiment, von dem wir heute noch – nach 300 Jahren – lernen können, wie wichtig Utopien sind. In Zeiten, in denen nationalkonservative Rückwärtsgewandtheit und reaktionäre Positionen Straßenbilder in Deutschland beherrschen, zeigt Libertalia, dass die multikulturelle Gesellschaft funktioniert und ist deshalb überraschend aktuell.
Daniel Defoe: Libertalia. Die utopische Piratenrepublik. Aus der Allgemeinen Geschichte der Piraten zusammen mit den Piratensatzungen der Kapitäne Roberts, Lowther und Philips sowie die Beschreibung der Regierung, Gewohnheiten und Lebensart der Seeräuber auf Madagaskar von Jacob de Bucqouy. Berlin: Matthes & Seitz, 2015. 238 Seiten. ISBN 978-3-95757-000-0. 22,90 Euro